Warum ich keinen Alkohol mehr trinke
Ein Whiskey-Liebhaber sagt zu einem Teil seiner Persönlichkeit Adieu.
Es gibt kaum etwas Schöneres als einen richtig wuchtig torfigen Single-Malt-Whiskey, der nach Jahren der Ruhe und des Reifens in einem alten schottischen Holzfass den Weg in mein Glas findet. Was für ein Genuss.
Diesen Genuss gebe ich nun aber auf. Ich habe fertig getrunken. Adieu, Whiskey. Tschüss, mein geliebtes Ritual. Es war nett.
Warum tue ich das? Zwei Dinge haben mich zu diesem Schritt bewegt. Einerseits die gesundheitlichen Folgen von Alkohol, die auch dann von Belang sind, wenn man nicht viel trinkt. Andererseits die sozialen Konventionen rund um Alkohol, die ein zentraler Grund dafür sind, dass wir überhaupt mit dem Trinken beginnen.
Alkohol ist nie gesund
Es ist recht offensichtlich, dass es keine besonders gute Idee ist, viel Alkohol zu trinken. Alkohol richtet weltweit ähnlich viel gesundheitlichen Schaden an wie Tabakkonsum und erhöht das Risiko von über 60 Krankheiten1. Niemand würde sagen, dass Saufen gesund ist.
Aber lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass Alkohol in kleinen Mengen nicht nur unbedenklich, sondern sogar gesundheitsfördernd ist. Was für eine frohe Kunde: Eine der beliebtesten Drogen, ein Nervengift, ist für uns gut, wenn wir es nicht übertreiben. Diese Vorstellung verfestigte sich in den 1980er Jahren dank des “französischen Paradoxons”. Menschen in Frankreich essen ähnlich viele gesättigte Fettsäuren wie Menschen in anderen europäischen Ländern2 — aber Herz-Kreislauf-Probleme waren weniger häufig. Die vermeintliche Erklärung dafür: Der ganze Wein, den die Leute in Frankreich trinken, muss eine schützende Wirkung haben.
Das französische Paradoxon hat sich leider als französische Illusion erwiesen. Einerseits war das Paradoxon an und für sich zu einem nicht-trivialen Teil nur eine statistische Fehlinterpretation3. Andererseits und wichtiger wurden seither grosse Studien durchgeführt, die zum Schluss kommen, dass Alkohol in geringen Mengen keine positiven gesundheitlichen Effekte hat und stattdessen sehr wahrscheinlich ab dem ersten Schluck nur schadet4 5. Dieses Gift bleibt leider auch in kleinen Mengen Gift.
In kleinen Mengen ist das Risiko von Alkohol aber relativ gering. Die individuelle Risikokalkulation hängt darum stark von den individuellen Präferenzen ab. Für den Konsum auch von wenig Alkohol geben wir ein Stück unserer Gesundheit auf. Für mich persönlich rechtfertigt der Nutzen von Alkohol — der Genuss, der Rausch, die Vereinfachung sozialer Interaktionen — dessen gesundheitliche Kosten nicht. Für andere Leute vielleicht schon. Die Kosten-Nutzen-Abwägung ist nicht universal. Das ist auch kein Problem. Ein Problem ist aber, dass wir diese bewusste Kosten-Nutzen-Abwägung eigentlich nie machen und stattdessen latent ins Trinken hineinsozialisiert werden.
Was uns zum Trinken bewegt
Wäre Alkoholkonsum einfach die Folge rationaler individueller Risikokalkulation — Abwägung gesundheitlicher Kosten gegenüber hedonischem und sozialem Nutzen — , bräuchten wir nicht gross darüber zu reden. Aber wir entscheiden in aller Regel nicht, zu trinken, nachdem wir sorgfältig berechnet haben, was wir uns davon versprechen und ob uns das den Preis wert ist. Wir trinken, weil Alkohol Tradition hat. Wir trinken, weil Alkohol im Vergleich zu den meisten anderen Drogen nicht tabuisiert, sondern im Gegenteil positiv konnotiert ist — Lebensfreude, Feiern, Genuss, besondere Momente. Wir trinken, weil Trinken oft die soziale Norm ist und es schwierig sein kann, sich diesem latenten Druck zu entziehen6 7.
Wir trinken, weil man trinkt.
Das sollte uns suspekt sein. Alkohol ist eine der gefährlichsten, der tödlichsten Drogen überhaupt. Der Umstand, dass Alkoholkonsum eine derart selbstverständlich und unhinterfragt tradierte soziale Konvention ist, bedeutet letztlich, dass ein destruktives Genussmittel anhaltend nicht nur normalisiert, sondern auch bagatellisiert wird.
So blöd es klingen mag: Bis vor wenigen Wochen habe ich darüber nie wirklich aktiv nachgedacht. Jetzt, da ich es tue, frage ich mich, warum ich überhaupt jemals angefangen habe zu trinken. Und wundere mich, dass mich Alkohol schon mehr als mein halbes Leben lang begleitet. Weil, man trinkt ja, ist doch normal, oder?
Nun ja, für mich irgendwie nicht mehr.
Das schwedische Modell als Vorbild?
Macht man sich solche Gedanken, drängt sich natürlich die Frage auf, ob der gesellschaftliche Umgang mit Alkohol auch formal anders sein sollte. In gewissen Bereichen wäre eine Ausweitung von Verboten sinnvoll. Es ist beispielsweise reichlich absurd, dass die zulässige Grenze für Alkohol beim Autofahren nicht bei 0.0 Promille liegt.
Ist die korrekte Schlussfolgerung, dass wir Alkohol allgemein verbieten sollten? Ein allgemeines totales Verbot von Alkohol wäre m.E. nicht der richtige Weg. In einer prinzipiell liberalen Gesellschaft sollen Menschen diese Droge weiterhin konsumieren dürfen. Vielleicht können wir den Zugang zu ihr aber so ändern, dass Menschen weniger stark aktiv zum Trinken bewegt werden. Zum Beispiel nach dem schwedischen Modell.
In Schweden ist Alkohol grundsätzlich genauso legal wie in anderen europäischen Ländern. Der Verkauf ist seit 1955 aber anders gestaltet. In Supermärkten findet man nur relativ schwache alkoholische Getränke mit bis zu 3.5% Alkoholgehalt. Stärkere Alkoholgetränke sind nur in staatlichen “Systembolaget”-Läden erhältlich.
In Schweden hat der Staat ein Verkaufsmonopol auf härteren Alkohol. Alles ist erhältlich, aber die Läden sind relativ schlicht gehalten und zielen nicht auf Gewinnmaximierung ab. Es gibt keine Sonderangebote, keine bunte Werbung, keine Lockangebote. Bilder wie dieses hier von einem Gemischtwarenladen bei mir um die Ecke kennt man in Schweden nicht.
Das ist, finde ich, ein guter Kompromiss, der einen Mittelweg zwischen dem utilitaristischen Ziel der Reduktion von alkoholbedingtem Schaden und dem liberalen Prinzip der freien Entscheidung darstellt. Die Einführung eines solchen Modells in der Schweiz, Österreich, Deutschland ist momentan aber natürlich komplett unrealistisch. Die Alkohol-Lobbies sind viel zu stark und zu verfestigt; solche Reformbestrebungen würden im Keim erstickt.
Aber vielleicht verhält es sich damit wie mit einem guten Single Malt. So, wie der Whiskey Zeit benötigt, um im Fass zu reifen, benötigen auch Ideen Zeit, um Fuss zu fassen und umsetzbar zu werden. Denken wir also darüber nach.
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